Praktische Theologie

In unserem nachfolgenden Blog geht es weniger um die Theologieausbildung, sondern um das, was in der Praxis umgesetzt wird. Da wird Theologie wirklich wirksam. Meine Kollegin Jasmin Taher hat recherchiert und ist auf eine spannende Familie gestossen. (Andreas Räber)

Ein Leben im Strafvollzug in freien Formen

(Jasmin Taher) Freunde von uns leben im «Gefängnis». Nein, nicht als Insassen. Sie betreuen als Hauseltern eine Wohngemeinschaft (WG) mit straffälligen Jugendlichen. Das Projekt, an dem sie teilnehmen, ist eine Modelleinrichtung und bietet Jugendstrafvollzug in freien Formen. An die Einrichtung ist ausserdem eine christliche Gemeinde innerhalb der evangelischen Landeskirche angeschlossen. Das Projekt stellt eine Alternative zum geschlossenen sowie zum offenen Strafvollzug dar. Alle Mitarbeiter sind Christen. Sie leben in WGs gemeinsam mit den «Jungs», bieten ihnen familiären Strukturen und integrieren sie in eine «gesunde» Familie. Häufig kommen die straffälligen Jugendlichen aus Familien, in denen sie wenig Halt, Liebe und Geborgenheit erfahren konnten.

Ganz praktisch gelebte Theologie

Ganz praktische und gelebte Theologie

Soziale Arbeit und praktische Theologie in der Praxis

Sie – unsere Freundin, die Hausmutter – hat Sozialpädagogik und Soziale Arbeit studiert. Sie ist verantwortlich für die «Erziehung» der Jugendlichen und übernimmt das soziale Training. Er – ihr Mann, Hausvater und bald auch Gemeindeleiter – hat einen Bachelor in Theologie und ist zudem staatlich anerkannter Sozialarbeiter/Sozialpädagoge. Was er damals noch in zwei Studien absolvieren musste, wird heute von seiner Hochschule als Kombinationsstudiengang «B.A. Praktische Theologie und Soziale Arbeit» angeboten.

Eine gute Mischung, denn Praktische Theologie und Soziale Arbeit liegen auch in der Praxis sehr nah beieinander.

Christliche Werte und christlicher Glauben

In ihrem Haus und auf ihrer WG leben die Mitarbeiter christlichen Glauben vor und vermitteln den Jugendlichen christliche Werte. Sie sollen den Glauben kennenlernen, sollen aber nicht missioniert und zum Christentum bekehrt werden. Jeder darf seinen eigenen Glauben leben und behalten. Gebet und Gottesdienst sind jedoch auch Teil des sehr strukturierten Alltags aller Bewohner. Vor dem Essen wird gemeinsam gebetet. Jeden Morgen gibt es einen «Impuls» für den Tag, einen Gedanken, oft handelt es sich um ein Bibelwort. Und sonntags wird gemeinsam in der Gemeinde Gottesdienst gefeiert. Der Gottesdienstbesuch ist keine Pflicht. Alternativ können die «Jungs», während die anderen in der Kirche sind, bei einer ehrenamtlich tätigen Lehrerin Ethik besuchen. Aktuell wird das Ethik-Angebot jedoch von keinem der jugendlichen Bewohner angenommen. Alle freuen sich auf die Abwechslung, die der Gottesdienst bietet, und auf das Miteinander mit anderen Menschen.

Opfer und Täter sollen sich mit Straftaten auseinandersetzen

Während ihrer Haftzeit sollen die Jugendlichen auf ein Leben nach ihrer Entlassung vorbereitet werden.

Statt ihre Freiheitsstrafe «abzusitzen», absolvieren sie während ihrer Haft in ein konsequentes Erziehungsprogramm. Sie setzen sich mit ihren Straftaten auseinander, erfahren – teilweise im direkten Dialog, in der Konfrontation mit Opfern oder Angehörigen von Opfern – wie sich Opfer fühlen. Im gleichen Zug wird von der Strafvollzugseinrichtung Opferberatung angeboten. Ziel ist es, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, die widerfahrene Tat aufzuarbeiten aber auch negative Emotionen abzuschütteln.

Das Leben in der Haftanstalt

Schon vor einigen Jahren erwähnte unsere Freundin, dass sie den Job als Hauseltern demnächst aufgeben würden. Die eigenen Kinder sollten ein «normales Familienleben» kennenlernen. Ein gestecktes Datum war «wenn der Grosse in die Schule kommt». Der Grosse ist bereits seit einem Jahr in der Schule und sie leben immer noch in der Haftanstalt. Offensichtlich gefallen ihnen ihr Leben und ihre praktische Aufgaben als Sozialarbeiterin und Theologe und dort sehr gut.

Quellen und Tipps